Gewalt- und Straftaten:

Rechtsextremismus

Rechtsextremistisch motivierte Straf- und Gewalttaten / Statistik


Nach Jahren des Rückgangs kam es im Jahr 2000 zu einem deutlichen Anstieg der Straftaten mit erwiesenem oder zu vermutendem rechtsextremistischen Hintergrund. Die von der Polizei erfassten rechtsextremistisch motivierten Straf- und Gewalttaten stiegen im Vergleich zum Vorjahr von 10.037 Straftaten auf 15.591 im Jahr 2000. Darin enthalten, aber gesondert ausgewiesen, sind 3.594 (22,5 %) fremdenfeindliche und 1.378 (8,6 %) antisemitische Straftaten. 10.979 der rechtsextremistischen Straftaten wiesen keinen fremdenfeindlichen oder antisemitischen Bezug auf.

Bei den Straftaten mit zu vermutendem rechtsextremistischen Hintergrund handelt es sich um Vorfälle, bei denen der rechtsextremistische Tathintergrund zwar nicht zweifelsfrei feststeht, aber ein entsprechender Verdacht besteht.


Rechtsextremistische Gewalttaten (Bundesebene)

Die in der Gesamtzahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten enthaltenen Gewalttaten stiegen ebenfalls von 746 im Jahr 1999 auf 998 im Berichtsjahr deutlich an (+ 33,8%). Damit ist die dritthöchste Zahl nach den Jahren 1992 und 1993 zu verzeichnen gewesen. Neben einer insgesamt gestiegenen Gewaltbereitschaft haben spektakuläre Straftaten sowohl bei den rechtsextremistischen als auch bei den fremdenfeindlichen und antisemitischen Delikten offensichtlich zahlreiche Nachahmungstäter gefunden.Bei der weit überwiegenden Mehrzahl der Täter handelt es sich um Jugendliche und Heranwachsende, die nicht aus organisierten rechtextremistischen Zusammenhängen stammen, sondern der lose strukturierten rechtsextremistischen Skinhead-Szene und ihrem Umfeld zuzurechnen sind. Den Verfassungsschutzbehörden sind viele Täter vorher nicht bekannt. Rechtsextremistisch motivierte Gewalt hat ganz überwiegend spontanen Charakter. Die meisten Gewalttaten werden nicht geplant, sondern resultieren aus alltäglichen Konfliktsituationen oder unkontrollierten Aggressionen. Sehr häufig stehen die Täter dabei unter erheblichem Alkoholeinfluss.



Die Gewalttaten werden nach Tatrichtungen unterschieden und in vier Kategorien aufgeteilt:



Diese Gewalttaten addieren sich mit der weitaus höheren Zahl weiterer Straftaten wie Sachbeschädigungen, Nötigungen/Bedrohungen, Verbreitung/Verwendung verbotener Propagandamittel sowie Volksverhetzung/ Aufstachelung zum Rassenhass ( 1999 = 6.937; 2000: 10.979) zu der einleitend vorangestellten Gesamtzahl von 15.951 Straftaten (1999: 10.037). Von den 10.979 rechtsextremistischen Straftaten ohne fremdenfeindlichen oder antisemitischen Bezug machen die Propagandadelikte, wie das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß §§ 86, 86a StGB, mit rund 85% den größten Anteil aus. Von den 2000 insgesamt erfassten 998 Gewalttaten waren 641 fremdenfeindlich motiviert (1999: 451). Auch im Berichtsjahr hatten die Gewaltdelikte erneut überwiegend einen fremdenfeindlichen Hintergrund. Straftaten werden von der Polizei dann als fremdenfeindlich angesehen, wenn sie sich "gegen Personen richten, denen die Täter wegen ihrer Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes ein Bleibe- und Aufenthaltsrecht in Deutschland bestreiten. "

Die Zahl der Gewalttaten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten sank dagegen von 53 auf 43 (- 18,9 %). Auf die Kategorie der sonstigen rechtsextremistischen Gewalttaten entfielen 285 Fälle (1999: 226). Die antisemitischen Gewalttaten stiegen um 81,2 % von 16 im Jahr 1999 auf 29 im Berichtsjahr.

Besonderes Aufsehen in der Öffentlichkeit erregten in diesem Jahr Anschläge mit antisemitischer Zielrichtung. Am 20.04.2000 verübten Rechtsextremisten einen Brandanschlag auf die Synagoge in Erfurt (Thüringen), der jedoch nur geringen Sachschaden anrichtete. Aufgrund der dilettantischen Tatausführung und der Fingerabdrücke auf einem Selbstbezichtigungsschreiben konnte der vermutliche Haupttäter wenige Tage später festgenommen werden. In der anschließenden Vernehmung machte er kein Hehl daraus, den Anschlag aufgrund seiner antisemitischen Einstellung begangen zu haben, und gab an, dass er mit dieser Tat in "rechten " Kreisen an Ansehen gewinnen wollte. Die Aussage des Haupttäters, der Mitglied in der NPD war und aufgrund verschiedener rechtsextremistisch motivierter Delikte vorbestraft ist, führte zu zwei weiteren Festnahmen.



Wie schwierig gerade bei Gewalttaten gegen Juden und ihre Einrichtungen die Einschätzung des Tathintergrundes ist, zeigen zwei Vorfälle aus Düsseldorf, bei denen rechtsextremistische Täter hinter den Anschlägen vermutet wurden: Bei einem Sprengstoffanschlag am 27. Juli an einer Düsseldorfer S-Bahn-Station wurden insgesamt neun Personen zum Teil lebensgefährlich verletzt. Alle Opfer stammten aus den Ländern der GUS, sieben von ihnen waren jüdischen Glaubens. Bis heute konnten die Hintergründe der Tat nicht aufgeklärt werden. Bei dem am 02.10.2000 verübten Brandanschlag auf eine Synagoge hat die Generalbundesanwaltschaft zwei Personen arabischer Herkunft unter dringendem Tatverdacht festgenommen. Die Tat steht offensichtlich im Zusammenhang mit den seit September 2000 wieder aufgeflammten gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Israel und den Palästinensern.

Zu den gravierendsten Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Bezug gehörte der Brandanschlag vom 16.09.2000 auf ein Asylbewerberheim in Ludwigshafen (Rheinland Pfalz), bei dem drei albanische Kinder verletzt wurden. Die Polizei ermittelte vier Täter, die kurze Zeit nach dem Anschlag festgenommen werden konnten.

Am 23.09.2000 warfen in Wuppertal mehrere fremdenfeindlich motivierte Täter einen Brandsatz in ein von Jugoslawen bewohntes Übergangswohnheim. Bei einem Bewohner fing eine Matratze Feuer, konnte jedoch rechtzeitig gelöscht werden. Im Rahmen der Fahndung nahm die Polizei insgesamt sieben Personen fest. Gegen vier Tatverdächtige wurde ein Ermittlungsverfahren wegen eines versuchten Tötungsdeliktes eingeleitet.

Im Berichtsjahr wurden insgesamt 17 rechtsextremistisch bzw. fremdenfeindlich motivierte (versuchte und vollendete) Tötungsdelikte verübt. Dabei kamen zwei Menschen ums Leben. Ein besonders erschreckendes Beispiel für die Brutalität und Menschenverachtung, mit der rechtsextremistische Gewalttäter teilweise ihre Taten verüben, ist der Überfall von drei einschlägig bekannten Skinheads auf einen 31-jährigen mosambikanischen Familienvater am 11.06.2000 in Dessau (Sachsen-Anhalt). Alle drei Täter, die zur Tatzeit in starkem Maße alkoholisiert waren, schlugen bzw. traten auf ihr Opfer ein, bis es regungslos am Boden liegen blieb. Der Afrikaner erlag kurze Zeit später im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen. Das Gericht verhängte gegen die Beschuldigten langjährige Freiheitsstrafen. Sowohl die Witwe als auch der Richter hatten während des Verfahrens Drohbriefe erhalten.

Ein weiteres rechtsextremistisch motiviertes Tötungsdelikt wurde in der Nacht auf den 24.07.2000 in Ahlbeck auf Usedom (Mecklenburg-Vorpommern) von vier der örtlichen rechtsextremistischen Szene angehörenden Skinheads verübt. Die zwischen 16 und 24 Jahre alten Täter schlugen und traten so lange auf ihr Opfer, einen Obdachlosen, ein, bis dieser starb. Als Begründung für ihre Tat gaben zwei der vier Festgenommenen an, dass "Asoziale und Landstreicher nicht in die Gesellschaft passten". Der Haupttäter wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Auch in Hamburg war ein drastischer Anstieg der rechtsextremistisch motivierten Straf- und Gewalttaten zu verzeichnen. Die Polizei erfasste im Berichtsjahr insgesamt 458 rechtsextremistische, fremdenfeindliche und antisemitische Straftaten - doppelt so viele wie 1999 (230 Straftaten) *). Die Gesamtzahl teilt sich auf in 55 Gewalttaten und 403 sonstige Straftaten wie Sachbeschädigungen mit und ohne Gewaltanwendung, Nötigungen und Bedrohungen sowie Propagandadelikte (Hakenkreuz-Schmierereien, u.ä.), die fast die Hälfte aller Delikte ausmachen.


Ein Anstieg war bei allen Tatrichtungen zu verzeichnen: 239 rechtsextremistische Straftaten wiesen keinen fremdenfeindlichen oder antisemitischen Hintergrund auf. Gegenüber 1999 (147) bedeutet dies eine Steigerung um +62,6 %. Der entsprechende Anteil an der Gesamtzahl der Straftaten verringerte sich von 64% (1999) auf 52 %. 175 fremdenfeindlichen Straftaten stehen 70 *) Straftaten im Jahr 1999 gegenüber. Die Zahl stieg damit um +150 %. Der Anteil an der Gesamtzahl der Straftaten erhöhte sich auf 38% (1999: etwa 30%). 44 antisemitische Straftaten wurden im Jahr 2000 verübt, 1999 waren es 13. Die Zahl hat sich damit mehr als verdreifacht: +338,5 %. Knapp 10% aller Straftaten hatten eine antisemitische Zielrichtung (1999: etwa 6%). Die Zahl der Gewalttaten nahm ebenfalls besonders stark zu: 1999 wurden 24 *) rechtsextremistische Gewalttaten in Hamburg verübt, im Jahr 2000 waren es 55. Dies entspricht einem Anstieg um +139,1 %.



Um den starken Anstieg der rechtsextremistischen Straf- und Gewalttaten in Hamburg, der statistisch über dem Bundestrend liegt, richtig einzuordnen, bedarf es einer sorgfältigen Analyse. Die Ursachen für diesen Anstieg sind bislang nicht abschließend geklärt. Generell ist festzustellen, dass es bei Rechtsextremisten einen verstärkten Hang zur Gewaltanwendung gibt. Zu vermuten ist auch, dass Nachahmungseffekte, eine erhöhte Anzeigebereitschaft in der Bevölkerung und intensivere polizeiliche Maßnahmen zu diesem Anstieg beigetragen haben. Neben dem Anstieg der Gewalttaten kam es vor allem vermehrt zu Propagandadelikten wie "Heil-Hitler "-Rufen oder Zeigen des "Hitler-Grußes". Auch die Zahl der Beleidigungen mit fremdenfeindlicher oder antisemitischer Zielrichtung ist gestiegen.

Erfreulich ist, dass es trotz der Zunahme von Gewalttaten in Hamburg kaum schwer verletzte Opfer, keine schweren Brandstiftungen und Sprengstoffanschläge gab. Bei den Gewalttaten handelt es sich überwiegend um Körperverletzungsdelikte.

Am 18.02.2000 bedrohte ein bekannter und zur Tatzeit alkoholisierter, rechtsextremistischer Skinhead auf St.Pauli ein junges Pärchen mit einem geladenen Gasrevolver. Polizisten, die den Vorfall von der gegenüberliegenden Straßenseite beobachteten, nahmen den Täter, der sich in einer mehrköpfigen Skinheadgruppe befand, fest.

Die zunehmende Militanz in der Szene belegt auch ein Vorfall vom 02.04.2000 ebenfalls auf St.Pauli: Eine Gruppe von größtenteils bekannten rechtsextremistischen Skinheads skandierte auf der Reeperbahn fremdenfeindliche und antisemitische Parolen. Im weiteren Verlauf wurde ein unbeteiligter Passant zu Boden geschlagen. Bevor es zu einer weiteren Eskalation kam, konnten herbeigerufenen Polizeikräfte etwa die Hälfte der Skinheads festnehmen. Bei den Festgenommenen wurden zahlreiche Waffen, wie Schlagstöcke, Gaspistolen, CS-Gaskartuschen, Elektroschocker und ähnliche Gegenstände sichergestellt. Am 14.08.2000 bedrohte in Hamburg-Horn ein den Sicherheitsbehörden bis dahin unbekannter Jugendlicher im angetrunkenen Zustand einen türkischen Passanten mit einem Messer und forderte Geld. In der Folge kam es zu einer Auseinandersetzung, bei der der Täter den Türken durch Messerstiche lebensbedrohlich verletzte. Als die eingesetzten Polizeibeamten den Täter an dem Geschädigten, der zu diesem Zeitpunkt ärztlich versorgt wurde, vorbeiführten, beleidigte er diesen mit fremdenfeindlichen Äußerungen und drohte ihn das nächste Mal umzubringen. Den Beamten gegenüber gab der Beschuldigte an, "rechts" zu sein. Seine Eltern hätten ihn so erzogen und sein Vater sei auch "rechts".