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Homosexuellenverfolgung
Weder vergessen noch vergeben! Zur unterbliebenen Wiedergutmachung homosexueller NS-Opfer
von Jörg Fischer

Vom 30. September bis 2. Oktober fand in Saarbrücken ein internationaler Fachkongreß unter dem Motto "Wider das Vergessen - Die Verfolgung Homosexueller im 3. Reich - Die unterbliebene Wiedergutmachung" statt. Organisiert wurde diese Tagung von Burkhard Jelloneck, Leiter der Landeszentrale für politische Bildung des Saarlandes, und dem Schwulenverband Deutschlands (SVD). Die Veranstalter betonten, daß dieser Kongreß besonders angesichts immer massiver werdender Versuche neonazistischer und konservativer Kreise, die Geschichte in ihrem Sinne umzudeuten, von besonderer Bedeutung sei. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Kampagne der Nürnberger CSU-Fraktion gegen eine Ausstellung über die Massenverbrechen der Nazi-Wehrmacht, der u.a. auch zahlreiche Schwule zum Opfer fielen oder dem Versuch von OB Scholz, die Zeit des Faschismus mit dem Dreißigjährigen Krieg gleichzusetzen.
Zur gesellschaftlichen Bedeutung der Forderung nach Wiedergutmachung homosexueller NS-Opfer stellte der SVD fest: "In wenigen Bereichen staatlichen Handelns hielt die Bundesrepublik so ungeniert und offen an nationalsozialistischer Unterdrückungspolitik fest, wie gegenüber Schwulen." Gerade an diesem Beispiel wird deutlich, wie sehr trotz anderslautender Beteuerungen von offizieller Seite, die BRD eben doch in der Tradition des "Dritten Reichs" steht. So war es nur wenig verwunderlich, daß die BRD-Justiz 1949 die von den Nazis verschärfte Form des § 175 in die Strafgesetzgebung übernahm. In der eigenen Logik wurde in der Frage der Wiedergutmachung für homosexuelle Opfer argumentiert, die Verfolgung und Inhaftierung in KZs sei aus bundesdeutscher Staatssicht rechtswirksam und legal; ein Anspruch auf Rehabilitation und Entschädigung wurde verneint. 1957 beispielsweise stellte das Bundesverfassungsgericht fest, daß der § 175 im Grunde "ordnungsgemäß zustande gekommen" sei. Das war eine Ohrfeige für 100.000 Justiz- und mindestens 15.000 KZ-Opfer. Überraschen können solche Urteile freilich nur die, die nicht wissen, daß der übergroße Teil der NS-Juristen in der BRD schnell wieder in Amt und Würden waren und neben vielen anderen Bereichen so auch die bundesdeutsche Justiz von Nazis aufgebaut wurde. Der politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und juristische Aufbau der BRD war von Anfang an auf Kontinuität angelegt, was am Beispiel schwuler Naziopfer deutlich wurde und auch heute noch deutlich ist. Auch wenn man davon ausgehen muß, daß mehr als 50 Jahre nach dem Ende des Faschismus die meisten Anwärter auf Wiedergutmachung verstorben sind, so war dieser Kongreß doch eine wichtige Initiative. In einem Interview erklärte Burkhard Jelloneck zur Stoßrichtung des Fachkongresses: "Das Ziel ist einerseits die persönliche Entschädigung, da wo man noch etwas tun kann. Andererseits denken wir aber auch an eine kollektive Entschädigung, d.h. an finanzielle Leistungen, etwa für Gedenkstätten, um an das Schicksal der Homosexuellen zu erinnern, oder für Forschungsgruppen, die im Bereich Homosexuellenverfolgung arbeiten."
Inwieweit diese Forderung in absehbarer Zeit realisiert wird, ist mehr als fraglich. Die oben aufgeführten Beispiele werfen nur ein Schlaglicht auf die bundesdeutsche Wirklichkeit, die in der nunmehr seit 6 Jahren auch offiziell ungehindert wütender Großmachtsschwelgerei möglichst schnell "aus den Schatten der Vergangenheit" treten will.