Claus Graf Schenk von Stauffenberg









Home
Einleitung
Biografie
Attentat
Quellen




Am 20. Juli 1944 flog Oberst i. G. Claus Graf Stauffenberg am frühen Morgen von Berlin zum 555 Kilometer ostwärts gelegenen Führerhauptquartier "Wolfschanze". Hier sollte er, als Chef des Stabes beim Befehlshaber des Ersatzheeres und Chef der Heeresrüstung Generaloberst Fromm, bei höheren Führungsstellen der Wehrmacht und beim Führer Adolf Hitler persönlich einen Vortrag halten über "Sperrdivisionen", den dringend nötigen Ersatz für den zusammenbrechenden Mittelabschnitt der Ostfront. Diese Ersatzeinheiten sollten vom Ersatzheer aufgestellt und von der SS ausgebildet werden. Stauffenbergs Teilnahme an der mittäglichen Lagebesprechung Hitlers sollte die Gelegenheit zum Attentat bringen.
Wenige Minuten schon nach dem Attentat in der "Wolfschanze", weit im ostpreußischen Seengebiet, sollte das Heer in Berlin, im Reichsgebiet und den von deutschen Truppen besetzten Gebieten die Regierungsgewalt übernehmen, im Reich mit Hilfe der Truppen, die dem Befehlshaber des Ersatzheeres unterstanden. Sofort nach dem Attentat sollte vom Stab des Ersatzheeres das Stichwort "Walküre" für "innere Unruhen" ausgegeben werden, woraufhin bestimmte Ersatzeinheiten kampfbereit mobilisiert werden mussten.
Vorbereitet war auch die Herausgabe allgemeiner Befehle an alle höheren Wehrmachtdienststellen, wobei die Übernahme der Exekutivgewalt durch das Heer mit dem Tod des Führers und einem Putschversuch von SS- und Parteiführern motiviert wurde, die der kämpfenden Front in den Rücken gefallen sein. Weiter enthielten die Befehle Anweisung zur Besetzung der Partei-, SS-, Gestapo- und anderer Dienststellen des Regimes. Schließlich sollten einige kürzere Befehle Veränderungen in der Führungsspitze der Wehrmacht mitteilen und politische und militärische Vertrauensleute der Verschwörung für die Wehrkreise ernennen, die die Funktionen der bisherigen NSDAP- Gauleiter übernehmen und die Ausführung der Befehle der Berliner Verschwörer in den Wehrkreisen überwachen sollten.
Generaloberst Fromm wußte von den Umsturzvorbereitungen und billigte sie stillschweigend unter der Voraussetzung, dass sie Erfolg hätten. Er war aber nicht bereit, den Staatsstreich selbst zu leiten, schon gar nicht, wenn der Führer das Attentat überlebte. Da der Fromm unterstehende mitverschworene Chef des Allgemeinen Heeresamtes General Olbricht sich dazu nicht fähig fühlte und sein Chef des Stabes Oberst i. G. Ritter Mertz von Quirnheim, ebenfalls Mitverschworener und Jahrgangskamerad Stauffenbergs von der Kriegsakademie, nicht über die nötige Autorität und Handlungsfreiheit verfügte, war Stauffenberg gerade im Augenblick des Attentats in Berlin unentbehrlich: darin lag der tragische Widersinn seiner 555-Kilometer-Reise nach Ostpreußen.
Ein weiterer Widerspruch wäre vermutlich auch bei Stauffenbergs Anwesenheit in Berlin verhängnisvoll geworden: der Chef des Stabes beim Befehlshaber des Ersatzheeres sollte eventuell faktisch an die Stelle des Befehlshabers selbst treten. Der Chef des Stabes hatte planende, koordinierende, beratende, die Entschlüsse des Befehlshabers vorbereitende Funktionen; die Befehle gab der Befehlshaber selbst. Zumindest musste der Befehlshaber zur Bestätigung in seinem Namen ausgegebener Befehle erreichbar sein. Das war unmöglich, wenn Fromm nicht mittat. Freilich glaubte man mit seiner Beteiligung oder Duldung rechnen zu können, da man nur mit dem Gelingen des Attentats rechnete. Als es misslungen war, gab es Schwierigkeiten, auf die man nicht gefasst war. Die "Walküre"- Befehle wurden von Olbricht und Mertz von Quirnheim unterzeichnet; unter dem ersten allgemeinen Befehl über die Exekutivgewalt des Heeres stand der Name von Generalfeldmarschall von Witzleben, der seit mehr als zwei Jahren krank bzw. nicht im aktiven Dienst war; der nächste allgemeine Befehl war mit "Fromm" und "Stauffenberg" unterzeichnet; später gab ein von Witzleben unterzeichneter kurzer Befehl die Ernennung von Generaloberst Hoepner zum Befehlshaber des Ersatzheeres und Oberbefehlshaber im
Heimatkriegsgebiet bekannt (auch Hoepner war schon lange nicht mehr aktiv, er war Anfang 1942 in Unehren als bis dahin ruhmreicher Kommandeur der 4. Panzer-Armee abgesetzt worden, weil er, als der Vormarsch in Russland steckengeblieben war, rechtzeitig rückwärtige Verteidigungsstellungen vorbereitet hatte). Als dann am Nachmittag und Abend des 20. Juli auf die Befehle der Verschwörergruppe die Rückfragen einliefen, als die Befehlshaber und Stabsoffiziere der Wehrkreiskommandos sich an den plötzlich auftauchender Namen abgedankter Heerführer stießen und Bestätigungen vom Befehlshaber verlangten, da war Fromm "nicht zu sprechen". Möglich, dass die Wehrkreis- und anderen Befehlshaber diese Seltsamkeit im Fall von Hitlers Tod hingenommen hätten, zumal wenn sich die neue Führung in Berlin sofort energisch, tatkräftig und zielbewusst gezeigt hätte.

"Wolfschanze", 15. Juli 1944; Begrüßung auf den Vorplatz der Lagebarracke.

Aber während drei "tote Stunden", zwischen dem Attentat und der Rückkehr Stauffenbergs nach Berlin, waren die Verschwörer in der Bendlersstraße unsicher und untätig. Als Stauffenberg aus Ostpreußen zurück war und die Befehle endlich hinausgingen, trafen sie beinahe gleichzeitig mit Gegenbefehlen aus der "Wolfsschanze" und mit oder gar nach der vom Rundfunk verbreiteten Nachrichten vom Attentat und Hitlers Überleben in den Wehrkreiskommandos ein. Der Rundfunk war nicht effektiv in Verschwörerhänden, weil erstens kostbare Zeit durch Warten verloren war und zweitens Goebbels´ Gegenbefehle die zu spät ausgeführten Handstreiche auf Rundfunkanlagen sofort neutralisierten.
Stauffenberg alleine wäre zuzutrauen gewesen, wäre er im Augenblick des Attentats in Berlin gewesen, dass er vor dem Bekanntwerden des Anschlags - mißlungen oder nicht - den Staatsstreich so weit in Gang bringen können, dass es für die Wehrkreise kein Zurück mehr gegeben hätte, auch wenn sich Hitlers Tod später als Fiktion erwiesen hätte. Durch die dargelegten Widersprüche war aber der Grund gelegt zum Mißlingen des Gesamtunternehmens.
Zwei, vielleicht drei vergebliche Anläufe zur Ermordung Hitlers hatte Stauffenberg schon vor dem 20. Juli unternommen, nachdem andere jahrelang erfolglos dem Führer nach dem Leben getrachtet hatten. Am 6. Juli war er auf Hitlers "Berghof " bei Berchtesgaden und hatte ein Aktentasche voll Sprengstoff bei sich, vermutlich in der Hoffnung, der mitverschworene Generalmajor Stieff, der auch Zugang zu Hitler hatte, zumal bei einer am 7. Juli 1944 stattfindenden Vorführung neuer Waffen und Ausrüstungen, würde das Attentat ausführen. Dann hätte Stauffenberg auf die von General Fellgiebel, dem mitverschworenen Chef der Wehrmacht - Nachrichten - Verbindungen, durchzugebende Nachricht zum erfolgten Attentat sofort in Berlin den Staatstreich in Gang setzen können. Aber Stieff wollte nicht. Am 11. Juli war Stauffenberg wieder auf dem "Berghof " bei Hitler, unterließ aber den Anschlag, weil Göring und Himmler fehlten; die Verschwörer glaubten, jene müssten gleichzeitig mit Hitler beseitigt werden, sonst könnte eine legitime oder doch reale Nachfolge entstehen und den Umsturz vereiteln. Am 15. Juli war Staufenberg in drei Besprechungen in Gegenwart Hitlers in der "Wolfschanze", wohin am 14. Juli das Hauptquatier umgezogen war; wieder fehlten Göring und Himmler. Stauffenberg wollte auch ohne deren Anwesenheit den Anschlag ausführen. In Berlin liefen die Staatsstreichmaßnahmen schon von dem zu erwartenden Zeitpunkt des Attentats an.
Bei der Ankunft in der "Wolfschanze" erhielt Stauffenberg aber, offenbar überraschend, genaue Anweisungen von Olbricht und vom Generalquatiermeister des Heeres, General Eduard Wagner, nur bei gleichzeitiger Anwesenheit Himmlers und Görings zu zünden. Damit war Stauffenbergs Plan umgeworfen und seine Handlungsfähigkeit untergraben, er stand in diesen drängenden Minuten vor der Entscheidung, sich den Höherrangigen zu fügen, oder das Attentat allein, ohne Aussicht auf einen Umsturz auszuführen.
Stauffenberg fragte gleichwohl telefonisch in Berlin an, ob er nicht doch zünden sollte, Olbricht riet zum Warten, sein Chef des Stabes, Mertz von Quirnheim, aber riet seinem Freund Stauffenberg zum Handeln. Hitlers Besprechungen endeten alle rasch, und Stauffenberg fand nicht die Gelegenheit, den Zeitzünder für seinen Sprengstoff in Gang zu setzen, was er ja nicht vor aller Augen tun konnte, und die Aktentasche dann zu plazieren. Hier ist eine durch Stauffenbergs Kriegsverletzungen und seine Unentbehrlichkeit in Berlin bedingte Schwäche der Attentatmethode sichtbar. Ein Simultanzünder, den der Attentäter unter Aufopferung seiner selbst im geeigneten Augenblick betätigt und durch den er selbst und Hitler in die Luft gesprengt hätte, wäre effektiver gewesen, wenn es schon ein Sprengstoffattentat sein musste und die Erschießung Hitlers nicht in Frage kam. Aber Stauffenberg musste entkommen, weil er in Berlin gebraucht wurde. Gegen ein Pistolenattentat sprach also, dass der Täter der Festnahme schwerlich entgehen konnte, dass seine Chancen, aus dem Führerhauptquatier zu entkommen und rasch nach Berlin zu gelangen, gleich Null waren. Es sprach dagegen auch die größere Erfolgsunsicherheit; eine Ladehemmung oder geistesgegewärtiges Dazwischentreten eines Anwesenden konnten den Erfolg verhindern.
Die Pistole in der Hosentasche (Gürtel und Waffen legte man draußen ab) konnte mit (vermuteten) Röntgenstrahlen entdeckt werden. Man glaubte unter den Verschwörern, Hitler trage kugelsichere Kleidung; der Kopf alleine war ein kleines und unsicheres Ziel. Endlich war Stauffenberg endlich behindert durch seine im Afrikafeldzug erlittenen Verwundungen : er hatte nur eine Hand mit drei Fingern und nur ein Auge. Etwa um 10 Uhr am 20. Juli, einem Donnerstagmorgen, kamen Stauffenberg und sein Ordonnanzoffizier Oberleutnant von Haeften auf dem Flugplatz bei Rastenburg an, ließen sich in den Sperrkreis II der "Wolfschanze" bringen, wo Dienststellen des Wehrmachtführungsstabes, der Hauptquatierkommandantur Und ein Kasino lagen, in welchem die beiden Offiziere frühstückten.

Oberleutnant d. R. Werner v. Haeften

Gegen 11 Uhr war es Zeit zu den Besprechungen im Sperrkreis l, zu dessen Betreten ein Sonderausweis nötig war. Nach einer Konferenz bei General Buhle, dem Chef des Heeresstabes im Oberkommando der Wehrmacht (OKW), folgte eine Besprechung bei Generalfeldmarschall Keitel in dessen Bunker (OKW-Bunker), die bis zum Beginn der Mittagslagebesprechung dauerte. Keitel wollte rechtzeitig zur Lagebesprechung kommen und drängte zum Aufbruch. Stauffenberg sagte zu Keitels Adjudant, Major John von Freyend, er wolle sich noch etwas frisch machen und das Hemd wechseln, John zeigte ihm sein Schlafzimmer im OKW-Bunker. Stauffenberg ging hinein, kam aber gleich wieder heraus. In Wirklicklichkeit suchte er Haeften, er brauchte den Sprengstoff und zum Zünden einen Vorwand, ein paar Minuten mit seinem Ordannenoffizier allein zu sein; dass ein Einhändiger beim Hemdwechsel Hilfe brauchte, war wohl plausibel genug.
Haeften, der den Sprengstoff für das Attentat bereithielt, hatte sich beizeiten zu Keitels OKW-Bunker begeben. Das Paket aus zweimal etwa ein Kilogramm plastischem Sprengstoff (Hexogen mit Dinitrotuol) samt Säurezünder, in Ölpapier und dann noch in Zellstoff gewickelt, hatte Haeften im Flur des OKW-Bunkers auf den Boden gelegt, in der Nähe der Tür zu einem Gästeraum, den man ihm gewiesen hatte. Zwischen 11 und 12 Uhr bemerkte Keitels Ordonnanz, Feldwebel Vogel, das Paket auf dem sonst leeren Flur, und fragte den sichtlich nervösen Oberleutnant von Haeften, ob die Sache ihm gehöre. Ja, sagte Haeften, das brauche Oberst Graf von Stauffenberg nachher zu seinem Vortrag beim Führer. Kurz vor 12 Uhr warf Feldwebel Vogel wieder einen Blick in den Flur und sah den Gegenstand nicht mehr. Bald darauf kam Stauffenberg zu Haeften in den Gästeraum.
Wenige Augenblicke kamen Keitel, John, Buhle und zwei andere Offiziere den Flur entlang, traten vor das Gebäude hinaus und warteten auf Stauffenberg, der inzwischen im Gästeraum mit Haeften flüsterte und hantierte, wie Vogel durch die nur angelegte Tür bemerkte. Nun wurde John beauftragt, Stauffenberg zur Eile zu mahnen, und schickte Vogel. Vogel ging zum Gästeraum, fand jetzt die Tür geschlossen, offnete sie und führte seinen Auftrag aus. Stauffenberg sagte abrupt und erregt, er komme gleich. Im selben Moment rief John vom Bunkerausgang her. "Stauffenberg so kommen Sie doch!" Vogel blieb an der offenen Tür zum Gästeraum stehen und sah, wie Stauffenberg an einen nicht näher erkennbaren Gegenstand hantierte, den Haeften in beiden Händen hielt. Der Feldwebel blieb stehen, bis Stauffenberg mit seiner Aktentasche herauskam. Was mag in diesem Augenblick durch Stauffenbergs Kopf gegangen sein?
Nach der Explosion stellte die Tatortkommission des Reichssicherheitshauptamtes fest, dass etwa ein Kilogramm Sprrengstoff verwendet worden war, und ferner, dass Haeften auf der Fahrt zum Flugplatz, nach dem Attentat, ein weiteres Paket von etwa einem Kilogramm Sprengstoff aus dem Auto geworfen hatte (der Fahrer hatte es im Rückspiegel gesehen, und das Paket wurde an der von ihm bezeichneten Stelle gefunden). Stauffenberg hatte also nur die Hälfte der mitgebrachten Sprengstoffmenge mit zur Lagebesprechung genommen. Man hat daran jahrelang die Vermutung geknüpft, das zweite Paket war für Himmler bestimmt gewesen, obwohl doch Stauffenberg sofort nach dem Attentat auf Hitler aus der "Wolfschanze" fliehen musste, um, wenn möglich, nach Berlin zugelangen, und obwohl Himmler zu der Zeit nicht in der "Wolfschanze" war, sondern in seinem ungefähr vierzig Kilometer ostwärts gelegenen Hauptquatier "Hochwald". 1964 und 1970 konnten John und Vogel befragt und so das Problem mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gelöst werden: Stauffenberg wurde, wie schon angedeutet, beim ziemlich komplizierten Zünden und Einpacken seiner "Bombe" gestört und ging, vielleicht in der Meinung, jedes weitere Zögern, jedes weitere Hantieren müsse zur Entdeckung des Anschlages führen, mit nur einem Kilogramm Sprengstoff in der Aktentasche davon. Die Experten der Tatortkommission, zu denen auch Sprengstoffsachverständige des Reichssicherheitshauptamtes gehörten, waren der Meinung, dass bei Verwendung von zwei Kilogramm vermutlich alle bei der Lagebesprechung Anwesenden getötet worden wären. Eben darauf war die Menge berechnet; denn der Attentäter, der seinen gezündeten Sprengstoff stehenlassen und dann weggehen wollte, konnte nicht wissen, an welcher Stelle des Raumes sich das Opfer im Augenblick der Explosion befinden würde. Als Stauffenberg aus den OKW-Bunker trat, war Keitel schon vorausgegangen. Buhle und John warteten noch, John wollte Stauffenberg die Tasche tragen, was der Einarmige energisch ablehnte, währen er sich angelegentlich mit Buhle unterhielt, bis man die rund dreihundertfünfzig Meter vom OKW-Bunker zur sogenannten Lagebaracke gegangen war. Diese lag zusammen mit dem sogenannten Gästebunker in einem kleinen Sondersperrkreis, der innerhalb des Sperrkreises l abgezäunt und streng bewacht war (der Sperrkreis l war seinerseits ein umzäuntes Gebiet innerhalb einer größeren Umzäumung, die den Sperrkreis ll umschloß, der wiederum innerhalb eines größeren, die Gesamtanlage einschließenden Sperrzaunes lag). Der Sondersperrkreis war errichtet worden, weil Hitler im Gästebunker wohnte, während an seinem eigenem Bunker in der Nordostecke des Sperrkreises l noch Verstärkungsarbeiten vorgenommen wurden; die wichtigsten Bunker der "Wolfschanze" wurden seit Februar 1944 noch einmal mit einem mehrere Meter starken Mantel aus Stahlbeton vollständig umbunkert, beim Gästebunker war die Arbeit fast abgeschlossen, beim Führerbunker war sie noch im Gang. Der Gästebunker hatte aber, anders als der Führerbunker, keinen genügend großen Raum für die Mittagslagebesprechungen,also wurden diese im Konferenzraum der einige Meter entfernten Baracke (mit Betondecke und Backsteinmauer als Splitterschutz) abgehalten.

Grundriss der Lagebaracke

Auch hieran sind in den ersten Nachkriegsjahren Vermutungen geknüpft worden, weil es hieß, die Lagebesprechung des 20. Juli sei von einem Bunker in der Baracke "verlegt" worden. Die Verwirrung ist begreiflich, hat aber zu unzutreffenden Erklärungen für das Mißlingen des Attentats geführt. Bis Ende Februar 1944 waren die Lagebesprechungen tatsächlich im Führerbunker gehalten worden, anschließend war das Füherhauptquatier mit Ausnahme von fünf Tagen immer auf dem "Berghof ", bis es am 14. Juli wieder in die "Wolfschanze" zurückkehrte. Stauffenberg war aber hier schon am 15. Juli bei der Lagebesprechung in der Baracke gewesen und kannte die Örtlichkeit. Wohl ist anzunehmen, dass die von ihm verwendete Sprengstoffmenge, ein Kilogramm, bei der viel größeren Verdämmung in einem Bunker zur Tötung aller Anwesenden geführt hätte; aber Stauffenberg hat gar nicht mit der größeren Verdämmung im Bunker gerechnet, sondern vielmehr mit der Verwendung von rund zwei Kilogramm Sprengstoff statt nur mit einem. Er wusste, dass der Lagerraum mit dem großen Kartentisch in einer Baracke war und fünf Fenster hatte, die bei warmem Wetter offen standen. Er muss auch am Klang seiner Schritte gehört haben, dass unter dem Bretterboden der Baracke ein Hohlraum war. Die Verdämmung musste hier viel geringer sein als in einem Bunker. Mit einer Menge von zwei Kilogramm hatte aber Stauffenberg nach dem Urteil der Experten ganz richtig den Sprengstoff auf die Tötung aller Anwesenden berechnet, weil er vor der Explosion weggehen musste und weil er, wenn er geblieben wäre, nicht dauernd mit der Aktentasche in seinen Fingern sich an Hitler herandrängen können. Der Fehler war, dass er nicht die ganze mitgebrachte Sprengstoffmenge mit in die Lagerbaracke brachte, nicht, dass er von der Örtlichkeit überrascht worden wäre, und auch nicht, dass er sich wegbegab.
Kurz ehe die Gruppe, mit der Stauffenberg ging, die Lagebaracke erreichte, gab Stauffenberg dem Adjutanten Keitels doch noch die Aktentasche in die Hand und bat, samt der Tasche möglichst nahe am Führer plaziert zu werden, damit er für seinen Vortrag nachher ganz auf dem Laufenden sei, er höre wegen seiner Verwundungen etwas schlecht. Als Stauffenberg, John und Buhle in das Lagezimmer kamen, war die Lagebesprechung schon im Gang. Generalleutnant Heusinger trug die Lage im Osten vor, sein erster Generalstabsoffizier Oberst i. G. Brandt legte dazu jeweils die nötigen Karten auf den großen Tisch, um den alle Teilnehmenden standen. Der Vortragende stand rechts von Hitler, sein Gehilfe recht von ihm. John erfüllte Stauffenbergs Bitte und plazierte ihn hinter und zwischen Heusinger und Brandt, also nur um eine Person von Hitler entfernt; die Aktentasche stellte er vor Stauffenberg auf den Boden. Da die Tasche nur die Hälfte des vorhergesehenen Sprengstoffs enthielt, musste es Stauffenberg darum zu tun sein, die Tasche möglichst nahe dem vorraussichtlichen Standort Hitlers abzustellen; er drängelte auch etwas, um näher heranzukommen, doch gelang es ihm anschließend nicht, die Tasche links von einem ziemlich massiven Tischsockel aus Eichenholz unter den Tisch zu stellen, sondern nur so, dass sie nicht ganz unterm Tisch stand, rechts vom Sockel. Wie hätte er den Vortragenden und seinen Gehilfen mitten im Vortrag auseinanderdrängen sollen? Wie hätte er sich gar zwischen Hitler und Heusinger schieben können? Das hätte man ihm verwehrt. Durch die Störung beim Zerdrücken des Glasröhrchens im Säurezünder und beim Einpacken des Sprengstoffs war eben schon das Attentat verpatzt, jetzt konnte man nur noch hoffen, dass es durch günstige Umstände doch noch gelingen möchte. Eine weitere Gelegenheit abzuwarten war aus vielen Gründen ausgeschlossen.
Stauffenberg murmelte dann etwas von Telefon und zog sich möglichst unauffällig zur Tür hinaus zurück, gab aber John ein Zeichen, worauf dieser mit ihm hinausging. Auf dem Flur bat Stauffenberg den Adjutanten, ihm eine Telefonverbindung mit General Fellgiebel zu verschaffen, der auch in der "Wolfschanze" war und Stauffenberg hatte ausrichten lassen, er möge ihn anrufen. John ließ durch einen in der Lagebaracke diensttuenden Telefonisten die Verbindung herstellen und ging wieder in den Lageraum zurück, Stauffenberg nahm den Hörer kurz in die Hand, legte ihn wieder weg und ging zum zweihundert Meter entfernten Bunker der Persönlichen Adjutantur und Wehrmachtadjutantur, wo Haeften und Fellgiebel auf ihn warteten.
Ein Auto war schon beschafft unter dem Vorwand, dass Stauffenberg und Haeften nach der Lagebesprechung beim Kommandanten des Führerhauptquartiers zu Mittag essen sollten, was zwar stimmte, was aber die beiden Offiziere nicht zu tun gedachten. Kaum hatten sie aus der Richtung der Lagerbaracke die erwartete Explosion gehört, so stiegen sie ein und ließen sich schnellstens zum Flugplatz fahren, wo eine vom mitverschworenen Generalquartiermeister des Heeres, General Wagner bereitgestellte Heinkel He 111 mit laufenden Motoren wartete.
Die Flucht aus dem Hauptquartier war ein gewagtes Unternehmen. Nach den in der "Wolfschanze" geltenden Sicherheitsbestimmungen lösten jede Explosion, jeder Schuss oder Abwurf einer Fliegerbombe innerhalb der Anlage sofort Alarm aus sowie die Sperrung aller Ausgänge. Die Flucht war also auch eine schwache Stelle in der Planung, und auch hieran mag Stauffenbergs Bruder Berthold gedacht haben bei seiner Bemerkung, es könne ja nicht gelingen. Stauffenberg und Haeften hatten Glück und brachten es fertig, sich aus den eigentlich gesperrten Sperrkreisen hinausfahren zu lassen, vor allem weil der Wachhabende am Schlagbaum des Sperrkreises l sich übertölpeln ließ, als der einarmige, mit seinen Narben und dem einen Auge wild und kriegerisch aussehende Oberst i. G. mit den breiten, roten Generalstabs-streifen an beiden Seiten der Uniformhose etwas von Führerbefehl schnarrte. Doch an der zweiten Schlagbaumwache, die passiert werden musste, am Südausgang und Außenzaun der Gesamtanlage, ging es nicht so leicht. Der Wachhabende hat sich überhaupt nicht beeindrucken, und erst nachdem Stauffenberg telefonisch einen Angehörigen des Stabes des Kommandanten, mit dem er am Morgen beim Frühstück zusammengetroffen war, veranlasst, hatte, für ihn gutzusagen, wurde er und Haeften durchgelassen. Auf der Weiterfahrt zum Flugplatz warf dann Haeften das überflüssige Sprengstoffpaket aus dem Wagen.
Während seines etwa eineinhalb- bis zweistündigen Fluges nach Berlin war Stauffenberg - nach seinen späteren Äußerungen zu urteilen - der Überzeugung, dass er Hitler getötet habe. Auf der Fahrt zur "Wolfschanze" hinaus war er mit dem Auto an der Lagebaracke in dreißig oder vierzig Meter Entfernung vorbeigekommen und hatte den Eindruck ungeheurer Verwüstung erhalten, als da alles voll Rauch war, Verwundete schrien, Leute hin und her liefen, Papierfetzen durch die Luft flogen. Es sei gewesen, als hätte eine 15-Zentimeter-Granate eingeschlagen, undenkbar, dass jemand mit dem Leben davongekommen sei, berichtete Stauffenberg in Berlin seinen Mitverschworenen.
Fellgiebel aber, der das Ergebnis des Attentats sofort nach Berlin melden sollte, wollte sich nicht bloß auf einen Eindruck aus der Ferne verlassen, sondern ging selbst in den Führersperrkreis. Hier stellte er fest, dass Hitler die Explosion überlebt hatte. Dann erst ging er zum Telefon im dem Gästebunker schräg gegenüber liegenden Nachrichtenbunker und teilte genau diesen Tatbestand nach Berlin mit.

Die Lagebaracke nach dem Attentat

Hier scheint eine weitere Bruchstelle in der Planung zu liegen. Wenn Stauffenberg mit der Möglichkeit gerechnet hätte, dass Hitler überlebte, dann hätte er mit Fellgiebel ausgemacht haben müssen, dass so oder so nach erfolgtem Attentat nur der Tod Hitlers nach Berlin zu melden sei; denn selbst nach mißlungenem Attentat hatte sich die Verschwörung durch die Explosion decouvriert und musste so handeln, als ob Hitler tot wäre. Wenn die Nachricht von seinem Überleben nicht sofort nach außen drang - Fellgiebel hatte auch die Sperrung der Nachrichtenverbindungen übernommen und diese Aufgabe für die ersten drei Stunden nach dem Attentat durchführen können - , konnte der Umsturz auch auf die Basis der Fiktion von Hitlers Tod gelingen. Sollte Stauffenberg, der ursprünglich mit der Tötung aller Anwesenden gerechnet hatte und der sicher sehr aufgeregt war, versäumt haben, Fellgiebel das einzuschärfen? Oder sollte Fellgiebel aus eigenem Antrieb die im Fall von Hitlers Überleben zur Grundlage zu machende Fiktion von Tod Hitlers schon in der ersten Stunde zerstört und die Erhebung damit entscheidend geschwächt haben? Oder hatte Fellgibel gemeint, man müsse zwar handeln, als ob Hitler tot sei, aber doch auch wissen, wie die Dinge wirklich lagen? Die Explosion im Lageraum, die etwa um 12.50 Uhr erfolgte, wurde von den meisten der 24 Anwesenden, von denen 20 überlebten, als ohrenbetäubender Knall mit grellgelber Stichflamme empfunden, sie wurden zu Boden geworfen, versengt, geprellt, geschürft und durch große Holzsplitter zum Teil schwer verletzt. Fast allen sind die Trommelfelle geplatzt. Hitler hatte sich gerade weit über den Kartentisch vorgebeugt und auf seinen rechten Ellenbogen gestützt, als der Tisch vom Explosionsdruck hochgehoben wurde und ihm eine erhebliche Prellung mit Bluterguss einbrachte; auch seine Trommelfelle waren geplatzt, Ohrenbluten und einige Schürfwunden kamen dazu, die lange schwarze Hose und die ebenfalls lange Unterhose hingen in langen dünnen Streifen herunter (wie auch mehreren Lageteilnehmern, die keine Schaftstiefel getragen hatten). Sonst aber hatte er die Sache recht gut überstanden, und nachdem er erste Hilfe erhalten und sich umgezogen hatte, konnte er am Nachmittag wie vorgesehen Mussolini in der "Wolfschanze" empfangen und ihm die verwüstete Stätte zeigen, an der er den Sprengstoffanschlag überlebt hatte. Und er konnte sogleich mit Gegenbefehlen auf den sich entfaltenden Staatsstreich reagieren.
Wunderbar war die Rettung des Führers und der meisten Anwesenden nicht, wenn sie auch nach dem ungeheuren Knall einigermaßen überraschen mochte. Aber die Wucht der Explosion ist durch die offenen Fenster und unter dem hohlen Barackenboden hindurch entwichen, so dass für tödliche Wirkung nicht genug Explosionsdruck übrigblieb, und Stauffenbergs "Bombe" war eben keine 15-Zentimeter-Granate, bei der die tödliche Wirkung im wesentlichen von den Splittern des Stahlmantels herrührt. Nur vier Anwesende, die der Aktentasche im Augenblick der Explosion am nächsten gestanden waren, erlagen ihren Verletzungen: der Stenograf Berger stab noch am selben Nachmittag, Oberst i. G. Brandt und der Chef des Generalstabes der Luftwaffe, General Korten, starben am 22. Juli, und Generalleutnant Schmundt, der Chef des Heerespersonalamtes und Chefadjutant der Wehrmacht beim Führer, starb am 1. Oktober 1944. Ob Hitler getötet worden wäre, wenn sich die Aktentasche an der Innenseite des schweren eichenen Tischsockels befunden hätte, ist fraglich. Vielleicht wären ihm die Beine abgerissen worden, während die Tischplatte, über die er sich gebeugt hatte, seinen Oberkörper schützte. Oberst i. G. Brandt sagte Generalleutnant Heusinger kurz vor seinem Tode, er habe die ihn störende Tasche mit seinem Fuß weiter unter den Tisch geschoben - auf der rechten Seite des Sockels; denn hier befand sie sich im Augenblick der Explosion.
Wenige Minuten nach der Explosion kam also General Fellgiebel heran, um sich über Hitlers Befinden zu vergewissern. Er fand ihn lebend, gratulierte ihm (er konnte kaum anders) und ging zum Nachrichtenbunker, um nach Berlin zu telefonieren. Dort bekam er Verbindung mit der Sekretärin des mitverschworenen Generalleutnant Thiele in der Bendlerstraße, in der Zentrale des Befehlshaber des Einsatzheeres, und ließ Thiele ausrichten: "Es ist etwas Furchtbares geschehen: der Führer lebt." Die Ironie war chrakteristisch für Fellgiebel; aber die Mitteilung der Wahrheit verursachte in Berlin Schwierigkeiten und vor allem Lähmung. Denn mit der durch einen manifest gewordenen, aber misslungenen Anschlag entstehende Lage hatte man offenbar nicht gerechnet.
Während Stauffenberg und Haeften in Richtung Berlin flogen, zwischen 13 und 14 Uhr, erhielten also Generalleutnant Thiele und General Olbricht in der Staatsstreichzentrale in Berlin die Nachricht, dass Hitler lebe und dass "etwas Furchtbares" geschehen sei. Thiele und Olbricht konnten sich leicht eine Reim auf kryptische Mitteilung machen - aber sie wussten nicht, welcher Reim wichtig war. Hatte der Sprengstoffanschlag ohne den gewünschten Erfolg stattgefunden? Hatte er nicht staatgefunden, war er vorzeitig entdeckt worden? War die Sprengladung zu früh in Stauffenbergs Aktentasche, aber nicht in Hitlers Gegenwart losgegangen? Das Thema war weiter variierbar: war Stauffenberg verhaftet? Hatte er sich erschossen? (Man wusste, dass er gelegentlich eine belgische Armeepistole bei sich hatte, die er spannen konnte, in dem er sie unter seinen Armstrumpf klemmte.)
Olbricht und Thiele beschlossen, erst einmal gar nichts zu tun bzw. sich wie an jedem anderen Tag zu verhalten, dass heißt zum Mittagessen zu gehen. Sie handelten in sofern "richtig", als die Alternativen außerordentlich risikoreich waren, wie das bei einem Staatsstreich eben so ist. Versuchten sie, den Staatsstreich in Gang zu setzen, ob nun Stauffenberg wiederkam oder nicht, ob Hitler tot war oder nicht, so riskierten sie ein katastrophalen Misserfolg und die ohne weiteres Handeln vielleicht noch vermeidbare völlige Aufdeckung der Verschwörung. Man war überzeugt, dass so gut wie niemand im lebenden Heer gegen Hitler handeln würde, also fehlte vielleicht die entscheidende Grundlage für einen erfolgreichen Staatsstreich; mit Fiktionen würde man nicht weit kommen, wenn die Nachrichtensperre nicht funktionierte. Olbricht, der von sich selbst sagte, er sei zum Verschwörer und Putschisten ungeeignet, hätte auch ohne bzw. gegen seinen Generaloberst Fromm handeln müssen; hätte ihn wahrscheinlich verhaften lassen müssen, bei so völlig verwaister Spitze der Ersatzheerführung hätte er gegenüber den Wehrkreisbefehlshabern einen sehr schwachen Stand gehabt. Als Ausweg wäre nur noch die Vorarlamierung der Einheiten in Frage gekommen, die später das Regierungsviertel, die Telegrafenämter usw. besetzen sollten, wenn Hitler tot wäre und der Staatstreich ernsthaft in Szene gesetzt werden könnte. Aber das hatte man in der sicheren Erwartung des Attentat schon einmal am 15. Juli so gemacht, das Attentat war nicht erfolgt, und man hatte alle Mühe gehabt, die Alarmierung als "Übung" zu vertuschen. Fromm, der mit Stauffenberg an diesem Tag in der "Wolfschanze" gewesen war, hatte nachträglich davon erfahren und seinem Unwillen über die "Übung", die er durchschaute, freien Lauf gelassen, freilich ohne Konsequenzen für die Verschwörer; denn er wollte womöglich auf der Seite der Gewinner sein. Jetzt jedengfalls waren eine neue "Übung" und eventuelle neue Vertuschung nicht mehr möglich.
Olbricht und Thiele handelten aber in sofern falsch, als sie durch ihre Passivität den Staatsstreich großenteils um die noch übrigen Erfolgschancen brachten. Einerseits hätten sie sich, wenn sie gewollt hätten, genauere Informationen aus der "Wolfschanze" beschaffen können; die Nachrichtenverbindungen waren nicht sofort und nicht absolut gesperrt, die höchsten Führer konnten bei Bedarf telefonieren. Andererseits mussten sie damit rechnen, dass die Zusammenhänge auch dann entdeckt würden, wenn Stauffenberg schon tot oder verhaftet oder wenn der Anschlag sonst wie manifest geworden war, was sie doch annehmen mussten. Sie wussten auch, dass Himmler über die Existenz der Fronde weitgehend im Bilde war, dass die Entscheidung über die Verhaftung Dr. Goerdelers, der zu den früheren Verschwörern gehörte, in diesen Tagen schwebte, dass irgendeiner der schon seit Monaten oder einer der schon seit wenigen Tagen erst verhafteten Verschwörer - Dohnanyi, J. Müller, D. Bonhoeffer, Moltke, Oberst Wilhelm Staehle, Leber oder Reichwein - unter der Folter die Verschwörung preisgeben könnte. Für ein zurück war es zu spät.
Ungefähr zwischen 15 und 16 Uhr, sofort nach seiner Landung in Berlin, telefonierte Stauffenberg vom Flugplatz aus mit der Bendlerstraße und fragte nach dem Vorgang der Umsturtzmaßnahmen. Er setzte also voraus, dass man in der Bendlerstraße von Fellgiebel die Nachricht bekommen habe, Hitler sei tot. Als er hörte, dass man diese Nachricht nicht hatte, sondern eine gegenteilige, sagte er, doch, der Führer sei tot. Jetzt erst, nach drei "toten Stunden", wurden die vorbereiteten Befehle aus Olbrichts Panzerschrank geholt. Olbrecht wollte immer noch nicht recht, aber sein Chef des Stabes, Oberst i. G. Mertz von Quirnheim, hat ihn überfahren und etwa um 16 Uhr begonnen, Staatsstreicheinheiten zu alarmieren. Etwa um 16.30 Uhr kamen Stauffenberg und Haeften in der Bendlerstraße an und verhafteten Fromm, der seine Teilnahme am Umstutz verweigerte. Gegen 17 Uhr gingen die ersten Fernschreibenan die Wehrkreise hinaus, gegen 18 Uhr kam die Fernschreibaktion aber erst richtig in Gang. In Kassel, in Wien auch in Paris und Berlin sind Truppenbewegungen und Besetzungen auf Veranlassung der Verschwörer erfolgt, in den meisten Wehrkreisen ist aber gar nichts geschehen, der Staatsstreich kam nicht in Gang. Es war ja schon nach Dienstschluss, man musste die Offiziere der Stäbe oft erst ausfindig machen, die waren zu Hause, beim Bier oder beim Tarocken, viele Wehrkreisbefehlshaber waren auf Inspektionsreisen oder auf der Jagd oder auch beim Tarocken.
Nun muss man sich die Situation in den Wehrkreiskommandos vorstellen. Da kamen plötzlich aus Berlin Befehle, wonach die Gauleiter und die höheren SS- oder Polizeiführer zu verhaften, Telegrafenämter, Funkstationen, Kraftwerke, Gestapodienststellen und Konzentrationslager zu besetzen waren, also alle Machtpositionen des Regimes. Fast gleichzeitig, oft noch vor dem Eingang der Befehle, erfuhr man in den Wehrkreisen um 18.30 Uhr über den Rundfunk, auf den Führer sei ein Attentat verübt worden, der Führer sei - Gott sei Dank - unverletzt. In solcher Situation war es für den Soldaten klug, die Klärung der Lage abzuwarten. So lavierte man in den Wehrkreisen, die Verschwörer wurden hingehalten und bald wurden die bisherigen Machthaber in Gestalt des Führers und der Gauleiter mit Versicherung unverwandelbarer Loyalität aus den Wehrkreiskommandos überschüttet. Nur in wenigen Fällen versuchte man, die Berliner Befehle auszuführen. War aber der Erfolg der Verschwörerbefehle auch gering, so zeigten doch die wenigen, an einigen Stellen ergriffenen Maßnahmen, dass der Umsturz gute Erfolgschancen hatte, wenn Hitler tot war oder die verschiedenen Militärbefehlshaber glaubten, er sei tot. In Kassel (Wehrkreis lX) wurden der Gauleiter, der Höhere SS- und Polizeiführer und andere führende SS-, Partei- und Polizeileute in das Wehrkreiskommando gebeten und fanden sich dort einige Zeit in der Gewalt des Militärs; in Prag wurden Truppen alarmiert und der Vertreter des Reichsprotektors für Böhmen und Mähren beim Befehlshaber beim Befehlshaber im Wehrkreis festgehalten; in Wien wurden ebenfalls Truppen in Gang gesetzt, und es wurden der stellvertretende Gauleiter (der Gauleiter selbst war auf Reisen) und die Chefs der Wiener Gestapo ins Wehrkreiskommando am Stubenring gebeten und in aller Form verhaftet und entwaffnet; in Paris wurde die gesamte dort stationierte Gestapo verhaftet und dann wurden Vorbereitungen zur Erschießung ihrer Führer getroffen, die Sandsäcke waren schon aufgeschichtet; in Berlin wurden die Regierungsviertel vom Berliner Wachbatallion besetzt, Goebbels seiner Freiheit beraubt und einige Rundfunkanlagen handstreichartig besetzt. Aber spätestens um Mitternacht wurden alle Maßnahmen rückgängig gemacht. Goebbels war es schon gegen 19 Uhr gelungen, den Kommandeur des Wachbatallions, Major Remer, davon zu überzeugen, dass Hitler wohlauf sei, und die Rundfunkanlagen waren zu spät und mit zu wenig Zielstrebigkeit und Sachkenntnis besetzt worden, als dass die Verbreitung der Nachricht von
Hitlers Überleben hätte verhindert werden können. Um Mitternacht brach der Aufstand überall zusammen, in Berlin unter den Salven eines Erschießungsperlotons. Auf Veranlassung des zeitweise verhafteten und nun wieder freien Generaloberst Fromm wurden Stauffenberg, Haeften, Mertz von Quirnheim und Olbricht im Hof des Bendlerblock standrechtlich erschossen. Zugleich kam die große Verhaftungs- und Verfolgungswelle in Gang, die zum Untergang der deutschen Widerstandbewegung führte. Bald waren die Senate des "Volksgerichtshofes" so überlastet, dass sie bis zum Kriegsende gar nicht alle Verschwörer verurteilen konnten. Wenigstens 180 bis 200 verloren im direkten Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 auf grauenhafte Weise ihr Leben. Hitler ließ sich Fotos von den ersten Hinrichtungen (langsames Erdrosseln an dünner Schnur) vorlegen.

Claus Graf Schenk von Stauffenberg