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Kindheit  & Jugend

Können Sie uns etwas über ihr Leben aus ihrer Kindheit erzählen?

Ich wurde am 27. März 1916 in dem kleinen Dörfchen Prätlack, im Kreis Gerdauen, in Ostpreußen, geboren. Es war mitten im ersten Weltkrieg. Meinen Vater kannte ich nicht, denn er war Soldat, er verteidigte in der Schlacht an den Masurischen Seen unsere engere Heimat. Er wurde verwundet und erhielt dafür das "Eiserne Kreuz". An einem Herbstabend im Jahre 1919 oder auch im Frühjahr 1920, als ich gerade mit meiner Mutter das Abendbrot gegessen hatte, klopfte es an der Tür. Es waren damals unsichere Zeiten, so bewaffnete sich meine Mutter mit einem Knüppel und öffnete vorsichtig die Tür. Dann hörte ich einen Schrei und sah, wie Mutter einen fremden Mann umarmte. Es war mein Vater, der zwar spät, jedoch endlich seinen Kriegszug beendet und seinen Weg nach Hause gefunden hatte. Er brachte mir als Kriegsbeute ein Leinensäckchen mit Zwieback nach Hause. So lernte ich endlich meinen Vater kennen und ein neues Familienleben begann für mich. Vater war gelernter Eisenbahner. Als solcher musste er acht Stunden am Tag als Ablöser im Schrankendienst arbeiten. Wir wohnten in einer kleinen Zweiraum-Wohnung im Insthaus eines Bauern zur Miete. Die jährliche Miete betrug 12 Männer- oder 36 Frauenarbeitstage.

Wie empfanden sie den Arbeitsalltag ihrer Eltern?

Ein Arbeitstag in der Landwirtschaft begann damals mit Sonnenaufgang und endete mit Sonnenuntergang. Meine Eltern waren ständig irgendwo auf Arbeit. Wir Kinder mussten dadurch früh lernen, selbständig zu werden. Die wirtschaftliche Lage meiner Eltern war nicht rosig. Mutter war beim Russeneinfall verschleppt worden, das Haus war abgebrannt , wir hatten alles verloren. In Deutschland herrschte die Armut und es wurde immer schlimmer. Zum ersten mal hörte ich die Worte wie Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, Streik und ich sah die Angst meiner Eltern davor. Die Reichsbahn wurde eine AG und auch die Inflation kam. Ich erinnere mich an den großen Eisenbahnstreik in dieser Zeit. Nur durch die Solidarität der französischen und schwedischen Arbeiter konnte dieser mit Erfolg für die deutschen Eisenbahner beendet werden.

Kam ihre Familie mit dem Lohn ihrer Eltern aus?

Der Lohn wurde damals jede Woche am Donnerstag ausgezahlt. Mein Vater verdiente damals etwa 20 Mark die Woche. Im Verlaufe der Inflation wurden die Zahlen auf dem Geldschein immer größer. Ich erinnere mich, dass mein Vater mit einem ganzen Rucksack voll Geld nach Hause kam. Meine Mutter ging dann sofort einkaufen, denn am nächsten Tag gab es oft nur noch ein Brötchen dafür. Als die Billionengrenze erreicht wurde, war dann Schluß. Eine Billion wurde in die neue stabile Rentenmark umgewandelt. Für die Masse der Menschen verbesserten sich, die Lebensverhältnisse jedoch kaum. Trotzdem die Lebensmittel sehr billig waren, z.B. ein Liter Milch kostete zehn Pfennige, ein Ei drei Pfennige, 500 Gramm Butter 60 Pfennige, war das Geld dafür oft nicht da. Die Zeiten waren nicht rosig und immer die Angst, es könnte noch schlimmer werden.

Wie versuchten ihre Eltern ihre Leben zu verbessern?

Vater wollte, dass es mir einmal besser gehen sollte. Er trat der sozialdemokratischen Partei bei und war in der ganzen Umgebung bald als Sozi oder Roter bekannt, geschätzt oder auch beschimpft. "Rote Socke" wurde erst später von Herrn Hintze, CDU, erfunden. In der Nähe des Dorfes unserer Familie führte die Reichsbahnstrecke Gerdauen - Angerburg vorbei. Dort zog es mich mit meinen Freunden immer wieder hin. Wir untersuchten die Schienen , balancierten auf den Gleisen und, wenn ein Zug kam, liefen wir mit ihm um die Wette. Am Bahndamm wuchsen außerdem die schönsten Erdbeeren. Jeder von uns Jungen wollte Lokomotivführer oder zumindest Eisenbahner werden. Geschafft hab ich es nur allein, es wurde mein Lebensberuf. Wegen der Miete bekam mein Vater Streit mit dem Hausbesitzer. Er kündigte und unsere Familie zog im Jahre 1926 in das Nachbardorf Schiffuß. Hier waren wir der Streckenführung und dem Bahnhof Pröck wesentlich näher. Zwischen den Tannenhecken, zum Schutz gegen Schneeverwehungen im Winter, und den Gleiskörper war Ackerland. Für wenig Geld pachtete es mein Vater und auch einige Bahnböschungen. Das Land wurde abwechseld mit Kartoffeln bzw. Rüben für den Eigengebrauch bestellt. Das Gras der Böschungen wurde als Heu in der Kreisstadt verkauft. Das brachte zusätzliche Einnahmen für dringend benötigte Anschaffungen. Dies war deshalb wichtig, da sich unsere Familie inzwischen vergrößert hatte, denn 1922 wurde meine Schwester Irmgard und 1928 mein Bruder Helmut geboren.

 

Das veränderte aber doch auch das Arbeitsleben ihres Vaters, oder?

Das Leben eines Eisenbahners war damals nicht einfach. Es gehörte schon viel Liebe zu diesem Beruf. Im Jahre 1930 wurde mein Vater als Ablöser zu Bahnhof Popiollen/Albrechtswiesen, Strecke Angerburg-Goldap, versetzt. Jetzt erlebte ich die Eisenbahn hautnah und das an jedem Tag. Ich durfte mit in das Büro, sah wie die Fahrkarten verkauft wurden, erlebte das Rangieren einens Güterzuges und durfte sogar auf eine Lok. Das war ein Glück. Jetzt stand es für mich endgültig fest - ich werde Eisenbahner. Geld musste und wollte ich unbedingt verdienen, also arbeitete ich auf den umliegenden Gütern und in einer Ziegelei am Brennofen.

Haben sie damals auch eine Lehrstelle bekommen?

Durch einen reinen Zufall bekam ich eine Lehrstelle als kaufmännischer Lehrling bei der Firma "Carl Toffert" in Goldap. Zur Firma gehörte auch ein Restaurant. Die Lehre dauerte 3 ½ Jahre. Einen Lehrvertrag bekam ich aber nicht. Alles wurde mit Handschlag bekräftigt und auch gehalten. Damals gab es das noch, dieses unausgesprochene Vertrauensverhältnis. Ein Lehrlingsentgeld gab es nicht, Essen und Wohnen waren jedoch kostenlos. Außerdem bekam ich im ersten Lehrjahr zu Weihnachten eine Krawatte, im zweiten Lehrjahr eine Hose und im dritten Lehrjahr Stoff für einen Anzug. Die Ladenöffnungszeiten betrugen 12 Stunden. Anschließend wurde der Laden gesäubert und oft musste dann noch im Restaurant bis zur Polizeistunde bedient werden. Zur Firma gehörten auch eine Düngemittel-, Getreide- und Eisenwarenhandlung sowie eine Kaffeerösterei und eine Likörfabrik. Das Tätigkeitsfeld war sehr groß. Es wurde von allen Lehrlingen sehr viel abverlangt. Einmal in der Woche besuchte ich die Berufschule. Ich lernte Maschineschreiben, Stenographie, Buchführung und Warenkunde, konnte mein Allgemeinwissen verbessern. Es war eine gute Vorstufe für meinen späteren Eisenbahnberuf.

Wie erlebten sie die Machtübernahme durch die Faschisten im Jahr 1933, dieses Ereignis lag doch genau in ihrer Lehrzeit.

An diesem Tag arbeitete ich im Restaurant, als plötzlich Marschmusik ertönte und ich die Marschkolonne der SA sah. An ihrer Spitze sozialdemokratische Funktionäre, Gewerkschaftler und andere Persönlichkeiten der Stadt. Alle hatten ein Schild um den Hals, sie wurden geschlagen und gestoßen. Das war der Anfang der neuen Zeit. Ich sah, wiemein Chef blaß wurde, denn in unserer Firma verkehrten auch Juden. Auch ich bekam Angst, denn auch ich war Mitglied der sozialdemokratischen Gewerkschaft und der "Sozialistischen Arbeiterjugend" (SAJ). Es war ein grausiger Auftakt. Auch mein Elternhaus wurde hart getroffen. Mein Vater wurde ebenfalls abgeholt, kam aber nach etwa drei Wochen wieder. Über diese Zeit hat er nie etwas erzählt. Er wurde dann sofort als Rangierer zum Bahnhof Angerburg versetzt.

 

         Was geschah, als sie ihre Lehrzeit beendet hatten?

Zum 1. April 1934 war meine Lehrzeit beendet. Ich war Gehilfe, mein Chef sprach ihn mit "Sie" an und ich bekam 20 Mark im Monat Lohn. Da wieder ein neuer Lehrling eingestellt wurde, erhielt ich zum 1. Oktober 1934 meine Kündigung. Ein Lehrling war eben billiger. Eine Bewerbung um eine neue Stelle war bei der damaligen Arbeitssituation aussichtslos.

Was hatten sie denn nun in dieser schlechten Arbeitssituation vor?

Mein Lichtblick: Die Armee stellte ein. Ich bewarb mich bei der Infanterie und wurde für tauglich befunden. Am 1. Oktober 1934 hielt ich in Inserburg als Rekrut meinen Einzug in der Below-Kaserne, bei der 7. Kompanie des I.R.I.. Zwecks Täuschung der Alliierten nannten sie sich offiziell "Infanterie Regiment Königsberg in Insterburg".

Veränderte sich ihr Leben als Rekrut?

Mein Wehrsold betrug eine Mark pro Tag und außerdem waren Essen, Wohnung und Kleidung (Uniform) frei. So gut hatte ich es in meinem Leben noch nie gehabt. Die Rekrutenausbildung war hart. Wir waren Freiwillige. Jeder konnte noch vor der Verteidigung zurücktreten. Einige taten das auch, ich dagegen verpflichtete mich auf 12 Jahre. Nach der Rekrutenausbildung passierte es dann. Ich erkältete mich. Daraus wurde eine eitrige Rippenfellentzündung mit dem Endstadium TBC. Die anschließende Operation und die nachfolgende Erholungskur konnten eine gundlegende Heilung nicht herbeiführen. Ich blieb kurzatmig und damit für den Wehrdienst untauglich.

Wie veränderte das ihre Stellung bei der Armee?

Am 16. Dezember wurde ich dienstunfähig entlassen. Nach den damaligen Bestimmungen konnte ich zwischen einer einmaligen Abfindung und dem Zivilversorgungsschein, der eine Übernahme innerhalb von zwei Jahren in den Staatsdienst vorsah, entschieden. Für mich kam nur der Versorgungsschein in Frage mit der Perspektive, doch noch Eisenbahner zu werden. Allerdings stellte die Reichsbahn zu diesem Zeitpunkt noch kein Personal ein. Also arbeitete ich in meinem erlernten Beruf als Gehilfe in Walterkehmen und zuletzt in Angerburg. Im Frühjahr 1937 war es dann soweit, die Reichsbahn stellte Personal ein und natürlich bewarb ich sich sofort. Ich habe die Aufnahmeprüfung bestanden und wurde zum Bahnhof Nordenburg zur Ausbildung überwiesen.


 

 
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